Frau Botschafterin QI Mei im Interview mit NEWS-Magazin: Florierende Kooperationen

2024-05-01 17:00

Seit 1971 pflegen China und Österreich diplomatische Beziehungen. Botschafterin Qi Mei spricht über die größten Meilensteine der Zusammenarbeit, über aktuelle Herausforderungen und Potenziale.

Frau Botschafterin, wo sehen Sie diegrößten Meilensteine der diplomatischenBeziehungen in den letzten53 Jahren?

Botschafterin Qi Mei: Wir genießen ein wachsendes gegenseitiges politisches Vertrauen und eine florierende Zusammenarbeit in verschiedenen Bereichen. Wenn wir auf unsere Beziehungen in den letzten 50 Jahren zurückblicken, gibt es viele wichtige Ereignisse, an die man sich erinnern sollte. Drei davon möchte ich hier hervorheben: Erstens nahmen China und Österreich am 28. Mai 1971 offiziell diplomatische Beziehungen auf, womit ein neues Kapitel in den chinesisch-österreichischen Beziehungen aufgeschlagen wurde. Das zweite Ereignis ist der Besuch von Präsident Jiang Zemin im März 1999, der erste Besuch eines chinesischen Staatsoberhauptes in Österreich. Und der dritte ist der Besuch des österreichischen Bundespräsidenten zusammen mit dem Bundeskanzler in China im Jahr 2018. Während des Besuchs verkündeten Präsident Xi Jinping und Präsident Van der Bellen gemeinsam die Gründung einer freundschaftlichen strategischen Partnerschaft zwischen China und Österreich, was den Beginn einer neuen Ära in den chinesisch-österreichischen Beziehungen markierte.

Auf welche Themenbereiche derVerständigung legen Sie währendIhrerAmtsperiode besonders Wert?

Kurz gesagt: Ich versuche mein Bestes, um das gegenseitige Verständnis und den Nutzen zwischen China und Österreich im politischen, wirtschaftlichen und kulturellen Bereich zu fördern. Im Mittelpunkt meiner Arbeit stehen Kommunikation, Zusammenarbeit und Konsolidierung. Erstens strebe ich danach, gegenseitigen Respekt und Verständnis durch konstruktiven Dialog und Kommunikation zu fördern. Zweitens: Vertiefung der inhaltlichen Zusammenarbeit und weiterer Ausbau des Austauschs und der Kooperation in den Bereichen Handel und Investitionen, Kultur und Tourismus, Wintersport, Klimaschutz, grüne Entwicklung und anderen Bereichen, um gegenseitige Vorteile und Win-win-Ergebnisse zu erzielen. Drittens soll die traditionelle Freundschaft gefestigt und die bilateralen Beziehungen durch einen engeren zwischenmenschlichen und kulturellen Austausch auf eine höhere Ebene gehoben werden.

Wo sehen Sie die größten Gemeinsamkeitenzwischen China undÖsterreich?

In der Tat gibt es viele Gemeinsamkeiten zwischen uns. Beide Länder haben eine lange Geschichte und eine großartige Kultur. Viele herausragende Österreicherinnen und Österreicher haben in ihren jeweiligen Bereichen weltbekannte Pionierleistungen erbracht und ihre Spuren in der Geschichte der menschlichen Zivilisation hinterlassen. China hat eine 5.000-jährige Geschichte und verfügt über ein vollständiges und tiefgründiges philosophisches System und eine Reihe großer alter Erfindungen, die einen wichtigen Beitrag zur Entwicklung der menschlichen Zivilisation geleistet haben. Die lange Geschichte und die reiche Kultur unserer beiden Länder haben auch gastfreundliche, bescheidene und widerstandsfähige Menschen geformt, die nicht nur stolz auf ihre eigene Geschichte und Kultur sind, sondern auch eine offene und integrative Haltung gegenüber anderen Nationalitäten und Kulturen haben. Sowohl China als auch Österreich lieben den Frieden und unterstützen den Multilateralismus. Österreich ist bestrebt, bei der Beilegung internationaler Streitigkeiten eine Brücke zu bauen. China setzt sich für den Aufbau einer Gemeinschaft mit einer gemeinsamen Zukunft für die Menschheit ein und befürwortet eine gleichberechtigte und geordnete multipolare Welt und eine inklusive wirtschaftliche Globalisierung, die allen zugutekommt. Diese Gemeinsamkeiten nähren die freundschaftliche strategische Partnerschaft zwischen China und Österreich.

In welchen Bereichen sehen Sie Potenzialfür eine Vertiefung der wirtschaftlichenBeziehungen zwischenChina und Österreich?

China setzt auf eine Öffnung auf hohem Niveau und eine hochwertige Entwicklung. Die Regierung hat viele neue politische Maßnahmen ergriffen, um ausländische Investitionen anzuziehen, darunter die Inländerbehandlung ausländischer Unternehmen, die Stärkung des Schutzes ausländischer Investitionen, die Verbesserung der Investitions- und Betriebserleichterungen, die Erhöhung der steuerlichen und fiskalischen Unterstützung, die Optimierung der Investitionsmethoden, die Beseitigung aller Zugangsbeschränkungen für ausländische Investitionen in der Produktion u. v. m. Wir sind stets bestrebt, ein berechenbares und besseres Investitions- und Geschäftsumfeld für ausländische Investoren zu schaffen. Als zweitgrößte Volkswirtschaft der Welt und riesiger Markt mit 1,4 Milliarden Verbrauchern verfügt China über ein stabiles politisches Umfeld, eine vollständige Lieferkette und ein komplettes Dienstleistungssystem, fortschrittliche Infrastrukturen sowie ausreichend und hochwertige Arbeitskräfte. Seit der Aufnahme diplomatischer Beziehungen mit Österreich vor 53 Jahren hat sich die bilaterale Zusammenarbeit in verschiedenen Bereichen auf ein solides Fundament gestellt. Unternehmen aus beiden Ländern haben enge Beziehungen geknüpft und reiche Erfahrungen in der Zusammenarbeit gesammelt. Der Modernisierungsprozess Chinas in der neuen Ära und die Größe des chinesischen Marktes haben der bilateralen Wirtschafts- und Handelskooperation enorme Geschäftsmöglichkeiten eröffnet. Abgesehen von den traditionellen Bereichen des Handels und der Investitionen bin ich sehr optimistisch, was die Zusammenarbeit in neuen Bereichen und auf neuen Wegen angeht, z. B. in den Bereichen fortschrittliche Fertigung, neue Energie, Umweltschutztechnologie, digitale Wirtschaft, Biolandwirtschaft, künstliche Intelligenz, Tourismus und Wintersport, medizinische Gesundheit sowie die Zusammenarbeit im Rahmen der „Belt and Road Initiative“ usw.

Welche Unternehmen oder Projekte sehen Sie als Vorzeigeprojekte für eine erfolgreiche wirtschaftliche Zusammenarbeit?

Jedes Unternehmen oder Projekt ist in der bilateralen wirtschaftlichen Zusammenarbeit einzigartig. Als Beispiel möchte ich auf den 2015 gegründeten China-Österreich-Su-Tong-Eco-Park hinweisen, das einzige Kooperationsprojekt auf nationaler Ebene, das von den beiden Regierungen unterstützt wird. Derzeit haben sich mehr als zehn Unternehmen aus der D-A-CH-Region, darunter Stiwa und Starlim, im Eco-Park angesiedelt. Unvollständigen Statistiken zufolge haben bisher mehr als 650 österreichische Unternehmen in China investiert und mehr als 1.500 Kooperationsprojekte in den Bereichen Halbleiter, Industrieausrüstung, Feinchemie, Automobilkomponenten und anderen Bereichen durchgeführt. AT&S ist seit rund 20 Jahren in China verwurzelt und ist der führende österreichische Investor in China. Andritz hat in fünf chinesischen Städten eigene Tochtergesellschaften, Niederlassungen oder Produktionszentren gegründet und kooperiert in Übersee mit chinesischen Partnern wie China Gezhouba Group International Engineering Company und ICBC Bank. Lenzing, Doppelmayr und viele andere Unternehmen haben ebenfalls ihre eigene Erfolgsgeschichte in China. Bis jetzt haben mehr als 40 chinesische Unternehmen in Österreich investiert, indem sie Niederlassungen gegründet oder sich an Fusionen und Übernahmen beteiligt haben, und zwar in Branchen wie Maschinenbau, Luftfahrt, Automobil, Telekommunikation, Finanzen und Unternehmensdienstleistungen. Darunter befinden sich weltbekannte große multinationale Konzerne wie ICBC, Bank of China, Huawei, ZTE, CRRC sowie herausragende Privatunternehmen wie Wanfeng, PIA Automation, Zhongding Group etc. Die chinesischen Unternehmen in Österreich fördern aktiv die Zusammenarbeit in den Bereichen Dienstleistung, F&E, Innovation und anderen Bereichen, schaffen eine große Anzahl von Arbeitsplätzen und zahlen jährlich mehr als 100 Millionen Euro an Steuern.

Welche Herausforderungen müssenchinesische Firmen meistern, wennsie in Österreich Fuß fassen möchten?

Österreich wird von vielen chinesischen Unternehmen normalerweise als Brückenkopf für die Erschließung des mittel- und osteuropäischen Marktes betrachtet. Es ist ein attraktiver Markt, der sich jedoch von vielen anderen unterscheidet.Laut dem „Report of AustrianBusiness Environment“, der 2021 vomVerband chinesischer Unternehmen inÖsterreich veröffentlicht wurde, sehensich chinesische Unternehmen hauptsächlich mit Schwierigkeiten wie z. B. sprachlichen und kulturellen Kommunikationsbarrieren, komplexen Gesetzen und Vorschriften in der EU und in Österreich, relativ hohen Kosten für Arbeit, Logistik, Rohstoffe, Energie, Miete und anderen konfrontiert. In den letzten Jahren wurde der Gewährleistung reibungsloser Industrie- und Lieferketten und der Erhaltung von Marktanteilen mehr Aufmerksamkeit gewidmet.

Welche Herausforderungen liegen derzeit hinsichtlich des gegenseitigen Verständnisses der Chinesen und Österreicher vor?

Ich sehe zwei große Herausforderungen. Erstens: Der Einfluss bestimmter Kräfte oder Mächte, die Identitätspolitik betreiben, Blockrivalitäten fördern und neue Spaltungen schüren, hat den gegenseitigen Respekt und das Vertrauen in der Welt etwas beschädigt. Zweitens hat die voreingenommene Berichterstattung bestimmter amerikanischer und europäischer Medien über China die öffentliche Wahrnehmung erheblich beeinflusst oder in die Irre geführt. Ihre Frage erinnert mich an die Äußerungen von Präsident Van der Bellen in seiner diesjährigen Neujahrsansprache. Er betonte die Gefahr, in eine binäre Entweder-Oder-Denkweise zu verfallen. Ich stimme mit seiner Sichtweise überein. Die Welt ist nicht einfach schwarz oder weiß. Die Menschen teilen viele gemeinsame Werte wie Fairness, Gerechtigkeit, Frieden, Demokratie und Freiheit. Aber wir müssen auch die Vielfalt der Welt anerkennen und annehmen. So wie es verschiedene Formen der Demokratie gibt, gibt es auch mehr als einen Weg zur Modernisierung. China zum Beispiel hat die Volksdemokratie als Ganzes verfolgt und einen chinesischen Weg zur Modernisierung eingeschlagen, der auf unsere nationalen Bedingungen zugeschnitten ist. Ich wünsche mir daher eine breitere und objektivere Berichterstattung der österreichischen und auch der europäischen Medien über China.

Was sehen Sie als wichtigstes ExportgutChinas nach Österreich?

Seit der Aufnahme der diplomatischen Beziehungen hat sich das bilaterale Handelsvolumen um mehr als das 400-Fache erhöht. China ist auch in den letzten Jahren eine der wichtigsten Importquellen Österreichs und der wichtigste Handelspartner Asiens geblieben. Laut österreichischer Statistik erreichte das bilaterale Handelsvolumen im Jahr 2022 mit 22,7 Milliarden Euro ein Rekordhoch. Im Jahr 2023 schwankte der bilaterale Handel aufgrund negativer Faktoren wie der Abschwächung der Weltwirtschaft und der Geopolitik leicht und ging um sechs Prozent zurück. Wir hoffen, dass der bilaterale Handel so bald wie möglich wieder wachsen und seine gute Dynamik beibehalten wird. Die wichtigsten Produkte, die von China nach Österreich exportiert werden, sind elektronische Maschinen und Geräte, Kraftfahrzeuge und Kraftfahrzeugteile, Chemikalien, Möbel und Bekleidung usw. Der chinesisch-österreichische Handel ist in hohem Maße komplementär und hat sich tief in einen wichtigen Teil der globalen Industrie- und Lieferkette integriert. Er liegt im Interesse der beiden Völker und ist ein Modell des gegenseitigen Nutzens und der Win-win-Kooperation.

Wie wichtig ist der Incoming-Tourismus aus Österreich für China?

China und Österreich sind weit voneinander entfernt, aber die beiden Völker haben die Unterschiede in den Systemen, der Kultur und der Sprache überwunden und eine tiefe Freundschaft geschlossen. Der zwischenmenschliche und kulturelle Austausch zwischen den beiden Ländern ist sehr fruchtbar, und es wurden mehr als 20 Partnerschaften zwischen Provinzen, Bundesländern und Städten gegründet, die acht der neun österreichischen Bundesländer umfassen. Sowohl Österreich als auch China haben eine große Tourismusindustrie. Im Jahr 2019 besuchten etwa eine Million chinesische Touristen Österreich, mehr als 60.000 Österreicher besuchten China. Touristen spielen eine wichtige Rolle bei der Förderung des kulturellen Austauschs, der wirtschaftlichen Zusammenarbeit und des gegenseitigen Verständnisses zwischen unseren beiden Nationen. China führt eine visafreie Politik für österreichische Staatsbürger ein. Vom 14. März bis zum 30. November 2024 können Inhaber österreichischer Reisepässe ohne Visum zu Geschäfts-, Tourismus-, Familienbesuchs- oder Transitzwecken nach China reisen, wobei die maximale Aufenthaltsdauer 15 Tage beträgt. Ab 1. Juli wird es tägliche Flüge nach Peking und weitere Flüge nach Shanghai geben. Reisen bereichert unsere Horizonte und unser Leben. Willkommen in China!

Die chinesische Bevölkerung kennt Österreich auch wegen seiner Musikszene. Was sonst schätzen Ihre Landsleute an der Alpenrepublik?

Neben der lebendigen Musikszene interessieren sich die Chinesen auch für das österreichische Theater, die zeitgenössische Kunst, die Architektur und die Museen. Österreich ist auch wegen seiner farbenfrohen Kultur und schönen Landschaft ein beliebtes Urlaubsziel für viele Chinesen. Viele Leute aus beiden Ländern sind begeistert vom interkulturellen Austausch. Im vergangenen Jahr nahmen österreichische Theater wie das Burgtheater am Wuzhen Theater Festival in China teil, und das Albertina Museum stellte Werke von Maria Lassnig in Peking und Shanghai aus. Das Palastmuseum und das Kunsthistorische Museum haben beschlossen, in den Jahren 2025 und 2026 Ausstellungen zur Geschichte der Habsburger und der Qing-Dynastie auszutauschen.